Marco, Lukas und Ida sind grundsätzlich Frühaufsteher – aber heute sind sie noch weit vor dem Klingeln des Weckers wach. Die Aufregung hat sie nicht mehr in ihren Betten gehalten. Die Jungs, die gemeinsam in einem Zimmer schlafen, wollen Ida wecken, um gemeinsam mit ihr zu dem Spielzimmer hochzugehen. Aber ihre kleine Schwester hat schon wach in ihrem Bett gelegen und darauf gewartet, dass ihre Brüder endlich zu ihr kommen. „Da seid ihr ja endlich“, begrüßt sie Marco und Lukas. „Ich warte schon eine halbe Ewigkeit auf euch!“ „Haha, dann hättest du ja auch schon zu uns kommen können“, gibt Lukas zurück. „Psst, lasst uns lieber leise zum Dachboden gehen und nachsehen, ob die zweite Socke jetzt auch eine Überraschung enthält“, sagt Marco.
Während die drei Kinder leise die Treppe hoch gehen, warten Heinzi und Nepomuk gespannt in ihrer Ecke des Spielzimmers auf die drei. „Ich bin heute selbst auch sehr aufgeregt, wo es hingeht“, sagt Heinzi. „Du hast recht, das Öffnen der Söckchen ist immer der spannendste. Und der Glanz in den Augen der Kinder“, entgegnet Nepomuk. „Aber jetzt müssen wir leise sein, denn ich höre schon das Tippeln der Füße auf der Treppe“, warnt Heinzi.
Ida kommt als erstes durch die Tür. Ihr Blick geht sofort zu dem Adventskalender. „Ja, es scheint was in meinem Söckchen zu sein! Es hängt eine Glocke daran! Jippieh! Ich bin ganz gespannt, was heute drin ist!“, ruft Ida aufgeregt. Marco und Lukas folgen ihrer kleinen Schwester. Ida berührt die pinke Schleife an dem pink-lilanen Söckchen und sofort bekommt sie ein verzaubertes Lächeln in ihr Gesicht. „Habt ihr das gehört?“, fragt sie Marco und Lukas. „Was sollen wir gehört haben?“, fragt Lukas zurück. „Na, das Klingeln des Glöckchens! Ein so helles Klingeln habe ich noch nie gehört. Es klingt so bezaubernd!“, schwärmt Ida. „Ich habe nichts gehört“, sagt Marco enttäuscht. „Ich leider auch nicht. Vielleicht ist das auch nur in Ida’s Fantasie gewesen“, gibt Lukas zu Bedenken. Ida ist sich sicher, dass sie das Glöckchen gehört hat, sagt aber nichts mehr dazu. Diesen Zauber möchte sie sich nicht durch einen Streit mit ihren Brüdern zerstören lassen.
„Nun mach schon die Schleife ab und schau nach was drin ist“, drängelt Lukas. Ida löst die Schleife und holt das lila Päckchen heraus. „Es ist sehr leicht“, sagt Ida während sie vorsichtig das Geschenkpapier abwickelt. „Eine Muschel!“, ruft sie entzückt. „Genau genommen eine Herzmuschel“, ergänzt Lukas, der Naturforscher. „Ihren Namen hat sie ihrem herzförmigen Querschnitt zu verdanken. Diese Muschelart gab es bereits im Obertrias. Das heißt, dass sie schon vor über 200 Millionen Jahren existiert hat. In einer Zeit, in der noch die Dinosaurier lebten“, erzählt Lukas weiter. „Wow, das hätte ich nicht gewusst“, sagt Ida beeindruckt. „Ich würde gerne noch viel mehr über diese Muschel erfahren“, sagt Lukas. Marco nahm die Muschel einmal in die Hand, um sie sich näher anzusehen. Er setzte sich auf die Kissen in der Lese-Ecke und betrachtete die Herzmuschel genauer. „Wir haben zwar schon viele von diesen Muscheln im Urlaub gefunden, aber so genau habe ich mir sie noch nie angesehen. Habt ihr schon mal gesehen, wie viele Rillen an der Oberfläche sind? Und die Farbe – diese hier leuchtet in einem richtig schönen gelb“, teilt Marco seine Beobachtungen mit. Die Muschel liegt in seiner rechten Hand und er umschließt sie mit der linken. Dabei schließt Marco seine Augen, so wie Ida es am Vortag gemacht hat. „Die Muschel erwärmt sich. Ich fühle, wie sich etwas verändert“, sagt Marco mit einem Bauchkribbeln. Lukas und Ida setzen sich schnell zu ihrem Bruder und legen ihre Hände um die von Marco. Tatsächlich. Diese wohlige Wärme breitet sich wieder aus. „Wo es wohl heute hingeht?“, denkt Ida.
Heinzi ist ganz aufgeregt: „Nepomuk, durch diesen Vortrag von Lukas über die Herzmuschel geht es auf eine andere Abenteuer-Reise als gestern, oder? Heute erleben die drei eine besondere Geschichte!“ „Ganz genau, Heinzi. Die drei werden gleich ein spannendes Abenteuer erleben“, lächelt Nepomuk.
Dieses Mal entwickelt der Glitzerstaub gemeinsam mit der Wärme der Herzmuschel einen geballten Lichtstrahl. Der Strahl geht in die Mitte des Zimmers und dort startet ein kleines Feuerwerk. Von dem hellen Licht geblendet, öffnen die drei Kinder gleichzeitig die Augen. Sie sehen das Wattenmeer und es fühlt sich an, als ob sie selbst im Watt stehen würden. „Spürt ihr auch den schlammigen Untergrund von dem Watt?“, fragt Lukas überrascht. „Ja, es fühlt sich an, wie damals auf Norderney, wo wir die Wattwanderung gemacht haben“, sagt Marco amüsiert. Denn er muss sofort daran denken, wie schlammig er und Lukas damals nach Hause gekommen sind. „Das ist jetzt aber wirklich ein besonderer Zauber. Das müsst ihr zugeben!“, ruft Ida begeistert. Und tatsächlich. Das komplette Spielzimmer hat sich in eine Watt-Landschaft verwandelt. Die drei Kinder laufen durch das Watt. Ihre Füße sinken tief im Schlick ein. „Das ist ein tolles Gefühl! Es kann aber nur ein Traum sein – wie soll es sonst gehen?“, murmelt Marco vor sich hin.
„Lasst uns den Untergrund ein wenig genauer ansehen. Schließlich wollen wir Herzmuscheln finden“, gibt Lukas den Ton an. „Wie gut, das wir Ebbe haben, denn so ist die Wahrscheinlichkeit, das wir lebende Herzmuscheln finden wesentlich höher.“ Die Kinder bücken sich über dem Wattboden und suchen nach Besonderheiten. Schließlich entdecken sie etwas: „Seht mal, da sind ovale Löcher im Boden!“, ruft Marco fasziniert. „Die sind aber sehr klein. Maximal einen Zentimeter“, meint Lukas. „Ob darunter Herzmuscheln leben? Unter meinen Füßen fühlt es sich an, als ob jemand Erbsen vergraben hat“, sagt Ida. Im gleichen Moment kommt eine kleine Wasserfontäne aus dem Loch gespritzt, direkt in Ida’s Gesicht. Die drei Kinder zucken zusammen und lachen dann laut auf, denn Ida’s Gesichtsausdruck hat sehr lustig ausgesehen. „Wer ist denn da oben?“, ertönt plötzlich eine piepsige Stimme aus dem Sand.
Die drei Kinder schauen sich ratlos an. „Hat einer von euch was gesagt?“, fragt Marco nervös. „Nein, das kam von dort unten“, meint Ida ungläubig. In dem Moment kommt eine kleine Herzmuschel aus dem Sand gespült. Eine Welle hat sie an die Oberfläche geholt. „Hallo, ihr da oben! Was trampelt ihr auf mir herum? Unter euch lebt meine ganze Familie und filtert das Wasser!“, sagt sie zu den verblüfften Kindern. Ida findet ihre Sprache als erstes wieder: „Hallo, du Herzmuschel! Es tut uns leid, dass wir über euch her gelaufen sind, aber von hier oben sieht man euch so schlecht. Ich bin Ida. Und das sind meine beiden Brüder Marco und Lukas. Wir würden gerne mehr über dich und deine Familie erfahren“, sagt sie zu der Herzmuschel. „Entschuldigung angenommen“, sagt die kleine Muschel. „Ihr könnt uns ja auch schlecht sehen. Ich heiße übrigens Bobby.“ „Was filtert ihr denn aus dem Wasser?“, möchte Lukas nun wissen. „Unser Essen. Mit Hilfe unserer Kiemen filtern wir aus dem einströmenden Wasser, welches über dem Atemrohr her fließt, das Plankton heraus“, erklärt Bobby. „Plankton? Das sind doch kleine Lebewesen und Pflanzen, oder?“, fragt Lukas nach. „Genau. Und von dem Plankton ernähren wir uns.“ „Wieviel Plankton benötigt ihr denn am Tag?“, möchte Marco nun wissen. Das hängt ein bisschen von der Größe der Herzmuschel ab. Ich kann zum Beispiel etwa einen Liter Wasser in der Stunde filtern – allerdings bin ich ja auch noch eine sehr junge und damit kleine Muschel. Meine Eltern schaffen bis zu zwei Liter in der Stunde. Also doppelt so viel wie ich“, erzählt Bobby weiter. „Das klingt nach einer ganz schönen Menge“, staunt Lukas. „Meine Urgroßeltern haben mir mal erzählt, dass es so viele Herzmuscheln im Wattenmeer gibt, dass sie innerhalb weniger Wochen das gesamte Wattenmeer filtrieren können“, sagt Bobby stolz. „Wow, da habt ihr aber jede Menge zu tun!“, sagt Ida sichtlich beeindruckt. „Sitzt ihr denn den ganzen Tag im Boden und filtert das Wasser?“, will Lukas nun weiter wissen. „Nicht den ganzen Tag. Wenn die Flut kommt, kommen wir aus unseren Löchern, um das Wasser besser strudeln zu können. Das macht richtig Spaß. Dann tanzen wir mit leicht geöffneten Klappen über das Watt. Bis wir eine passende Gelegenheit finden, um uns wieder einzugraben“, erzählt Bobby weiter. „Und wie grabt ihr euch wieder ein?“, fragt Marco interessiert. „Wenn unser Grabfuß Halt im Boden gefunden hat, können wir uns mit ruckartigen Bewegungen zurück in den Boden ziehen. Durch dieses ruckartige Zusammenziehen richtet sich unsere Muschelschale auf. Durch Ausstrecken und Zusammenziehen des Fußes verschwinden wir wieder im Boden und können von dort aus weiter Wasser filtern“, sagt Bobby. „Das würde ich mir gleich zu gerne ansehen“, sagt Ida bewundernd. „Das zeige ich dir auch gerne, aber zuerst müsst ihr das allerbeste sehen, was wir Herzmuscheln können. Wenn wir nämlich auf der Flucht vor unseren Feinden sind, müssen wir manchmal ganz schnell weg – und da dauert das Eingraben zu lang. Schaut mal genau hin, was ich jetzt mache!“, ruft Bobby. Dann krümmt die kleine Herzmuschel ihre Fußspitze ein und stemmt sich mit ihrem ganzen Körper gegen den Boden. „Jetzt müsst ihr gucken!“, schreit Bobby laut, bevor sie eine schnelle Streckung macht. Durch diese Streckung springt die kleine Herzmuschel weit in die Luft. „Fantastisch!“, rufen die Kinder laut. Innerhalb weniger Sekunden landet Bobby wieder neben Marco, Lukas und Ida. „Und, wie war der Sprung?“, will Bobby nun wissen. „Wahnsinnig cool!“, lobt Marco sichtlich beeindruckt. „Wenn ich so springen könnte wie du, wäre ich Weltmeister im Weit- und Hochsprung!“ „Daraus mache ich mit meinen Geschwistern auch täglich einen kleinen Wettkampf. Das macht echt so viel Spaß“, sagt Bobby. Unter den Kindern ertönt eine weitere piepsiege Stimme: „Bobby, was machst du denn die ganze Zeit da oben? Komm endlich wieder runter! Wir machen uns Sorgen um dich!“ „Das ist meine Mama. Ich muss nach Hause. Es war schön euch kennengelernt zu haben! Vielleicht sehen wir uns ja bald noch mal wieder“, sagt Bobby. „Danke, dass du dir Zeit für uns genommen hast, Bobby. Wir haben wirklich viel gelernt von dir“, bedankt sich Lukas für die Kinder. Die Kinder beobachten noch wie Bobby wieder im Boden verschwindet und nur die zwei ovalen Löcher von ihr übrig bleiben.
Mit der Verabschiedung von Bobby verschwindet auch das Wattenmeer aus dem Spielzimmer und Marco, Lukas und Ida sind wieder in ihrer alten Umgebung. Ungläubig sehen sie sich an, denn keiner von den drei konnte begreifen, was da gerade passiert ist. „Wow, jetzt haben wir mit einer echten Herzmuschel gesprochen und ganz viel über sie erfahren“, sagt Marco immer noch sichtlich beeindruckt. „Genau das hatte ich mir doch vorhin gewünscht“, stellt Lukas fest. „Ich glaube wirklich, dass der Adventskalender magisch ist. Er zeigt uns ganz tolle Sachen!“, ist Ida überzeugt.
Marco, der die verzauberte Herzmuschel noch immer in seiner Hand hält, ist ganz ruhig geworden. „Ich habe immer gedacht, dass Muscheln einfach nur Fundstücke am Strand sind. Aber es sind ja richtig beeindruckende Lebewesen. Am besten fand ich von Bobby den weiten Sprung. Das so kleine Muscheln so weit springen können – Wahnsinn!“ „Die Muscheln, die wir am Strand finden, sind ja auch leider alle schon gestorben“, sagt Lukas. „Am Strand haben wir meistens nur eine Schalenhälfte gefunden. Bobby hatte ja zwei und innen drin war das Lebewesen. Nur eine lebende Herzmuschel, die aus beiden Schalenhälften besteht, hat diese besondere Herzform. Und das macht sie so besonders.“ „Manchmal sollten wir mit offenen Augen durch die Welt gehen, damit wir auch solche Besonderheiten der Natur sehen“, überlegt Ida laut. „Um uns herum gibt es so viele Überraschungen und Geheimnisse, die wir gar nicht wahrnehmen.“
Nepomuk schaut Heinzi stolz an: „Die Kinder sind viel schneller auf die Grundgedanken der Adventszeit gekommen, auch wenn sie den Zusammenhang selbst noch nicht erkannt haben. Heute haben sie erkannt, dass um sie herum, viele Wunder passieren und die Natur selbst jede Menge Überraschungen bereit hält – wenn sie selbst mit offenen Augen durch die Natur gehen. Gestern haben sie erkannt, dass gemeinsame Zeit sehr wertvoll ist; das es Spaß macht mit den Leuten, die man lieb hat, gemeinsame Unternehmungen zu machen. Und das allein die Erinnerung daran wieder glücklich macht.“ „Du hast recht, Nepomuk. Das sind schon besondere Erkenntnisse, die die drei dort gemacht haben. Und die Mama von den Kindern hat sich doch auch mehr gemeinsame Zeit in dieser Adventszeit für sich und die Kinder gewünscht. Gestern haben sie bereits zusammen mit den Steinen gespielt und sich gefreut“, sagt Heinzi. „Siehst du Heinzi, genau diese Werte möchten wir den Menschen vermitteln. Und Marco, Lukas und Ida sind bereits sehr weit in ihrem Advents-Abenteuer“, freut sich Nepomuk. „Ich bin so froh, dass du mich ausgewählt hast, dich auf diesem Abenteuer zu begleiten“, bedankt sich Heinzi bei seinem großen Freund.
„Lass uns die Herzmuschel als Erinnerung an Bobby wieder in das Söckchen mit der Nummer 2 stecken. Vielleicht nimmt sie uns ja sogar noch mal mit auf ihre Reise durch das Wattenmeer“, sagt Marco. Ida nimmt ihm die Muschel ab und steckt sie wieder zurück. Während sie das Söckchen berührt, schauen Marco und Lukas sich überrascht an. „Hast du gerade ein leises Klingeln gehört?“, frage Lukas. „Ich bin mir nicht ganz sicher, aber es könnte ein Glöckchen gewesen sein…“, überlegt Marco. Ida lächelt glücklich, denn scheinbar hat sie es sich vorhin doch nicht nur eingebildet. Wenn sie sich umsehen würde, könnte sie sehen, dass auch Heinzi und Nepomuk sich freuen. „Siehst du, Nepomuk, du hattest das Glöckchen gestern doch zu fest angenäht. Heute haben Marco und Lukas bereits ein leises Klingeln gehört!“, freut sich Heinzi. „Ich bin tatsächlich überrascht, dass es so schnell geht. Aber die Kinder haben ja auch schon wichtige Erkenntnisse gesammelt“, sagt Nepomuk. Den Sinn dieser Worte versteht Heinzi noch nicht genau. Er ist einfach nur froh, dass alle Kinder das von ihm angenähte Glöckchen hören konnten.
„Heute war das Söckchen wirklich etwas ganz besonderes“, sagt Lukas. „Ich habe mich gefühlt, wie im echten Wattenmeer. Das ist einfach unglaublich!“ „Ich kann es gar nicht abwarten, morgen wieder hierher zu kommen und mein Söckchen zu öffnen. Denn gelb-orange kann ja nur noch für mich sein“, freut sich Marco Ida schaut erst ihre Brüder und dann den Adventskalender an und flüstert leise: „Ich wünsche mir, dass ich Heinzi und Nepomuk auch bald kennenlerne. Denn wer anders, als die beiden Wichtel können so einen Zauber verbreiten?!“
Hier geht es zum Gratis-Download der Geschichte: 03. Unterwegs mit einem Wattbewohner
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