Eine ganz besondere Kette

Ida wird von einem leisen Klingeln wach, das von dem Spielzimmer herunter klingt. „Sind die Jungs etwa schon ohne mich nach oben gegangen? Immerhin ist Marco heute mit dem Söckchen dran“, denkt sie. Leise steht sie auf und geht die Stufen nach oben. Dort hört sie leise Stimmen. „Hoffentlich schaffen wir es noch rechtzeitig. Warum mussten wir auch gestern Abend so lange beim Weihnachtsmann arbeiten? Immer diese Sonderschichten in der Weihnachtszeit“, murmelt Nepomuk. Ida traut sich nicht die Tür zu öffnen. Ihr Herz pocht sehr laut. Sie hat Angst dadurch diesen besonderen Weihnachtszauber zu vertreiben. Stattdessen schaut sie durch das Schlüsselloch in das Spielzimmer und sieht tatsächlich zwei kleine Wichtel. „Da sind Heinzi und Nepomuk. Die beiden Wichtel erkenne ich sofort!“, denkt sie überglücklich. „Das kann doch nicht wahr sein – da sind sie wirklich.“ Sie sieht noch, wie Nepomuk das Söckchen mit einer gelben Schleife zubindet und Heinzi das Glöckchen an die Sockenspitze näht. Diese Arbeit verursacht auch das Klingeln, von dem Ida wach geworden ist. „Jetzt lass uns schnell in unserer Ecke verstecken, bevor die Kinder hierher kommen“, sagt Nepomuk. Ida verschwindet genauso leise, wie sie gekommen ist und kriecht noch einmal in ihr Bett. Diesen Eindruck muss sie erst einmal für sich verarbeiten.

„Hey Ida, du Schlafmütze! Wach auf! Wir wollen nachsehen, ob das dritte Söckchen gefüllt ist!“, ruft Marco. Ida ist verwundert, dass sie wieder eingeschlafen ist oder war es etwa doch nur ein Traum? Schnell springt sie aus ihrem Bett und geht gemeinsam mit ihren Brüdern die Treppe zum Dachboden hoch. Heute geht Marco als erstes durch die Tür und sein strahlendes Lächeln zeigt, dass das Advents-Söckchen gefüllt ist. Von hinten sieht Ida, dass es mit einer gelben Schleife zugebunden ist – genau wie sie es heute Nacht gesehen hatte. Marco geht zielstrebig zu dem Advents-Söckchen und löst die Schleife. Dabei ertönt das leise Klingeln des Glöckchens. „Ida, du hattest recht. Das Glöckchen klingelt. Heute kann ich es auch hören. Und es klingt wirklich bezaubernd“, sagt Lukas. Marco wickelt das Päckchen aus dem gelben Geschenkpapier aus. Es kommt ein ziemlich großer Donnerkeil zum Vorschein. „Ein Donnerkeil!“, freut Marco sich. „Der ist aber groß“, staunt Lukas. „Weißt du noch, wie wir im Urlaub auf dem Parkplatz immer den Ostsee-Kies nach Donnerkeilen abgesucht haben?“, fragt Marco. „Ja, und Mama hat meistens einen gefunden. Voll unfair“, murmelt Ida. „Aber so einen großen wie diesen, hat auch Mama nie gefunden“, sagt Marco. „Na toll, und du hast jetzt so einen großen Donnerkeil“, sagt Lukas traurig. „Nein Lukas“, sagt Marco, „wir haben einen so großen Donnerkeil. Schließlich haben wir den Adventskalender zusammen geschenkt bekommen. Und es ist Zufall, wer was bekommt.“ „Meinst du das ernst?“, fragt Lukas. „Na klar meint er das ernst. Schließlich ist es doch kein Wettbewerb, wer die schönste Überraschung bekommt. Wir erleben doch zusammen die schönen Abenteuer!“, sagt Ida überzeugt. Dabei meint sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung in der Ecke des Spielzimmers gesehen zu haben, in der Heinzi und Nepomuk letzte Nacht verschwunden sind.

 

„Hier Lukas, heute darfst du den Donnerkeil in die Hand nehmen“, sagt Marco und überreicht ihm die wunderschöne Versteinerung. Lukas Augen glänzen vor Freude und er setzt sich auf die Kissen. Dabei hält er den Donnerkeil in der rechten Hand und hält die linke Hand schützend darüber. Lukas schließt die Augen. Ein glückliches Lächeln erscheint in seinem Gesicht. „Die Wärme des Donnerkeils breitet sich in in meiner Hand aus. Kommt schnell, damit wir zusammen auf Abenteuer-Reise gehen“, sagt er. Marco und Ida setzen sich neben Lukas und legen ihre Hände auf seine. Die Wärme breitet sich aus und durch den Glitzerstaub kann die magische Wirkung starten. Ein helles Licht löst sich aus dem Donnerkeil und lässt an der Wand über der Lese-Ecke ein Bild erscheinen. Dieses Mal rechnen die drei Kinder bereits damit und starren gespannt an die Wand.

„Seht mal, da ist ein Bild von dem Parkplatz der Ferienwohnung. Und wir stehen alle gebeugt über dem Ostsee-Kies und suchen nach Donnerkeilen“, sagt Lukas. „Schaut mal, wie Mama das macht: sie schiebt mit dem Fuß immer ein paar Steine an die Seite und sucht genau die Stelle ab“, beschreibt er das Bild. „Im Gegensatz zu uns. Wir rennen darüber und hoffen, dass uns ein Donnerkeil in die Hände fällt“, lacht Marco. „An dem Tag hat Mama doch sogar drei Donnerkeile gefunden“, fällt Ida wieder ein. „Ja, aber sie hat jedem von uns einen geschenkt“, sagt Lukas. „Und wir haben uns nicht mal bedankt, sondern uns nur darum gestritten, wer den schönsten bekommt“, sagt Marco. „Das war ganz schön unfair von uns. Vor allem, weil Mama diese Versteinerungen der Kopffüßer so sehr liebt“, findet Ida. „Ja, weil sie dabei immer an Opa denken muss, der ja leider schon tot ist. Er hat Mama damals erklärt, was das für besondere Steine sind“, sagt Marco. „Was war eigentlich noch mal das einmalige an den Donnerkeilen?“, fragt Ida. „Donnerkeile sind versteinerte Schalenspitzen der Belemniten. Und Belemniten sind die urzeitlichen Tintenfische, die am Ende der Kreidezeit ausgestorben sind. Daher ist der Donnerkeil wie ein Fund aus der Geschichte!“, weiß Lukas. „Außerdem hat dieser Stein eine tolle Farbmischung aus gelblich-braun – ähnlich wie die Bernsteine. Ich mag diese Farbe, besonders wenn der Donnerkeil feucht ist. Dann glänzt er in der Sonne und wirkt wie von einem anderen Planeten“, sagt Marco. „Er ist ja auch fast aus einer anderen Welt, immerhin hat der urzeitliche Tintenfisch mit den Dinosauriern zusammen gelebt“, sagt Ida fasziniert. „Wenn wir das nächste mal am Meer sind, sollten wir uns vielleicht auch ein bisschen mehr anstrengen, um einen solchen Fund zu machen“, meint Lukas. „Wir könnten Mama einen Donnerkeil schenken. Aber vorher fragen wir Papa, ob er ein Loch durch den Stein bohren kann. Dann bekommt Mama eine Donnerkeil-Kette!“, schlägt Marco vor. „Ja, das ist eine super Idee! Lass uns gleich mal unsere Steinsammlung nach Donnerkeilen untersuchen und den schönsten aussuchen!“, ist Lukas begeistert. Das Bild löst sich langsam in Luft auf und die Kinder stehen wieder in ihrem Spielzimmer.

 

Nepomuk und Heinzi haben das Geschehen aus ihrer Ecke verfolgt und lächeln zufrieden. „Die drei sind wirklich ein tolles Team. Durch diese Erinnerung an die Donnerkeil-Suche ist ihnen bewusst geworden, dass sie viel zu oft im Wettbewerb miteinander stehen. Es tut ihnen leid, das sie ihrer Mama nicht einmal danke für die Donnerkeile gesagt haben, sondern sich darum gestritten haben, wer den schönsten hat“, sagt Nepomuk. „Die Idee mit der Donnerkeil-Kette finde ich wunderschön! Da wird die Mama sich bestimmt sehr freuen“, schwärmt Heinzi mit einem Lächeln im Gesicht. Er blickt in die Richtung der Kinder und bleibt wie versteinert in seiner Bewegung. Ida schaut ihm direkt in die Augen und ihre Bäckchen glühen rot vor Aufregung. Sie lächelt ihm freudig zu und zwinkert mit den Augen. Nepomuk sieht diesen Blickwechsel und erschrickt. Schließlich sollten die beiden Wichtel doch noch unentdeckt bleiben. Er legt den Finger auf seinen Mund und deutet Ida an, ihren Brüdern nichts zu sagen. Sie versteht das Zeichen und wendet sich wieder ihren Brüdern zu.

 

„Dann pack‘ diesen Donnerkeil mal wieder in die Socke, damit er magisch bleibt“, sagt Ida zu Lukas, der den gelblich-braunen Stein noch immer in seiner Hand hält. „Möchtest du das machen, Marco? Schließlich ist es ja in deiner Socke gewesen“, sagt Lukas. Marco nimmt seinen Bruder den Donnerkeil aus der Hand und steckt ihn mit liebevollem Blick in das dritte Advents-Söckchen.

Dabei schnipst er das Glöckchen an und es ertönt ein wunderschönes, helles Klingeln. Die drei Kinder sehen sich begeistert an und freuen sich, dass das Glöckchen doch nicht kaputt ist. „Schnips doch auch mal die beiden anderen Glöckchen von den ersten Advents-Söckchen an“, sagt Lukas zu Marco. Sobald die Glöckchen in Bewegung kommen, geben auch sie ein wunderschönes Klingeln ab. „Wow! Ich habe doch gesagt, dass es die Magie der Weihnachtszeit ist!“, ruft Ida begeistert. „Du hattest recht, Ida! Jetzt glaube ich auch, dass es diesen Weihnachtszauber gibt, von dem du die ganze Zeit gesprochen hast“, erwidert Marco. „Und jetzt lass uns den schönsten Donnerkeil für Mama suchen, den wir haben, um auch ihr ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern“, sagt Lukas.

 

„Nepomuk, warum konnten die Kinder denn jetzt alle drei Glöckchen hören? Am ersten Tag funktionierte das erste doch gar nicht“, möchte Heinzi wissen. „Das ist der Zauber der Weihnachtszeit. Wenn die Kinder an diesen Zauber glauben, dann können sie die Glöckchen des Weihnachtsmannes und der Wichtel hören. Und durch ihre Erlebnisse mit den Advents-Söckchen ist ihr Glaube sehr schnell wieder gekommen“, erklärt Nepomuk. „Dürfen die Kinder uns denn dann bald kennenlernen?“, möchte Heinzi wissen. „Ich kann mir gut vorstellen, dass der Weihnachtsmann uns das erlauben wird“, entgegnet Nepomuk.

 

Als Papa bei den Kindern ins Zimmer geht, sieht er sie über ihrer Steinsammlung sitzen. „Was macht ihr denn schönes?“, möchte er wissen. „Wir suchen den schönsten Donnerkeil aus, um ihn Mama zu schenken“, sagt Ia. „Das ist aber eine schöne Idee“, sagt Papa. „Meinst du, dass du uns helfen kannst, ein Loch durch den Stein zu bohren? Dann können wir Mama eine Donnerkeil-Kette schenken, die sie immer bei sich tragen kann“, fragt Marco. „Das können wir gerne versuchen. Ich bin sehr begeistert von eurer Idee und möchte euch gerne helfen“, freut Papa sich. Gemeinsam suchen sie den schönsten Donnerkeil aus und gehen mit ihm in die Werkstatt im Keller. Papa bohrt mit seiner Bohrmaschine ein kleines Loch durch. „Es klappt!“, ruft Ida aufgeregt. „Dann gehe ich jetzt mal nachsehen, ob bei meiner Perlensammlung noch Lederbänder übrig sind. Da können wir dann den Donnerkeil auffädeln.“ „Und wir holen uns jetzt noch den durchsichtigen Nagellack von Mama aus dem Badezimmer und pinseln den Donnerkeil damit ein“, schlägt Papa vor. „Warum?“, möchte Lukas wissen. „Das bewirkt, das der Stein feucht aussieht und genauso schön glänzt wie im Wasser“, erklärt Papa. „Oja, dann leuchtet der Donnerkeil richtig magisch“, sagt Marco augenzwinkernd. Papa findet den Vergleich sehr schön und Lukas zwinkert seinem Bruder verschwörerisch zu.

Kurz darauf ist die Donnerkeil-Kette für Mama fertig. „Möchtet ihr die Kette verstecken und Mama zu Weihnachten schenken?“, fragt Papa. Die Kinder schauen sich an und Lukas sagt: „Nein, wir möchten sie Mama jetzt schon schenken. Schließlich ist sie uns sehr wichtig und wir möchten sie mit einer Überraschung glücklich machen.“ Papa ist sprachlos vor Freude – vor allem, weil die Eltern den Kindern in diesem Jahr in der Adventszeit keine großen Überraschungen machen. Gemeinsam gehen Marco, Lukas und Ida mit ihrem Papa ins Wohnzimmer. Dort sitzt Mama und häkelt eine Mütze. Sie schaut auf. „Mama, wir haben eine Kleinigkeit für dich“, sagt Marco. Die Kinder treten vor und reichen Mama die Donnerkeil-Kette. „Die sieht ja schön aus!“, schwärmt Mama. „Und die wollt ihr mir schenken?“ „Ja, weil du immer so viel für uns machst und wir dir so selten danke dafür sagen“, sagt Lukas. Mama bekommt Tränen der Freude in die Augen und drückt Marco, Lukas und Ida nacheinander. „Darf ich dir die Kette umtun?“, fragt Ida. „Sehr gerne“, erwidert Mama. „Danke, ihr drei! Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich über diese Kette freue. Das ist ein ganz besonderes Geschenk!“

 

Heinzi und Nepomuk haben die Geschenkübergabe aus dem Flur beobachtet. Sie haben ebenfalls Glückstränen in den Augen. „Das ist so schön“, sagt Heinzi. „Diese ehrliche Freude der Mama.“ „Der Weihnachtsmann hatte mal wieder die richtige Idee. In diesem Haus wird noch an die Magie der Weihnachtszeit geglaubt und der Advent soll diese Familie viel näher zusammen bringen. Mit gemeinsamer Zeit und mit Momenten der Freude“, sagt Nepomuk. „Dann lass uns jetzt mal wieder ins Spielzimmer gehen und die Vorbereitungen für morgen treffen. Schließlich muss das vierte Advents-Söckchen gefüllt werden. Morgen ist Lukas wieder dran. Er wird sich bestimmt sehr freuen“, meint Heinzi. Mit diesen Worten schleichen die beiden Wichtel mit ihrer roten Mütze die Treppe hoch. Dort packen sie eine weitere Überraschung in grünes Geschenkpapier ein und zelebrieren es das Söckchen für den nächsten Tag zu gestalten. „Das sieht richtig gut aus“, freut sich Heinzi. „Jetzt müssen wir wieder zum Weihnachtsmann und ihm dabei helfen, die Wünsche der Kinder vorzubereiten. Schließlich hat er noch einen riesigen Stapel Wunschzettel zu bearbeiten“, sagt Nepomuk. Leise verlassen die Wichtel das Haus und machen sich auf den Weg zum Weihnachtsmann.

 

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